Humboldt-Universität zu Berlin - Deutsch

Fazit und Ausblick

Dieser Schwerpunktbericht hat das Thema Wissenstransfer auf drei Ebenen beleuchtet. Zum einen ging es um die Beurteilung der Rahmenbedingungen im Berliner Forschungsraum. Darüber hinaus wurden verschiedene Einstellungen der Wissenschaftler:innen zum Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft erhoben. Einen dritten Schwerpunkt bildete die Bestandaufnahme, in welchem Umfang die Wissenschaftler:innen im Berliner Forschungsraum bereits in Wissenstransferprozesse involviert sind. Hier haben wir ein neues Untersuchungsinstrument eingesetzt, das aufzeigt, in welchen Phasen des Forschungsprozess es zum Austausch mit relevanten Gruppen der Gesellschaft kommt.

 

Rahmenbedingungen im Berliner Forschungsraum

Bei der Befragung zu den Rahmenbedingungen hat sich gezeigt, dass die Mehrheit der Wissenschaftler:innen den Berliner Forschungsraum im Hinblick auf Wissenstransfer gut aufgestellt sehen. So geben über 66 % an, dass die Umsetzung von Wissenstransfer „eher gut“ oder sogar „sehr gut“ ist. Gleichzeitig wünschen sich knapp 46 % der Befragten mehr Unterstützung bei der Umsetzung von Wissenstransfer. Insbesondere Nach-wuchswissenschaftler:innen geben diesen Bedarf an. Es ist davon auszugehen, dass entsprechende Maßnahmen seitens der Einrichtungen hier solchen Bedarfen gerecht werden können. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass gerade Wissenschaftler:innen, denen die gesellschaftliche Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen besonders am Herzen liegt, sich mehr Unterstützung beim Wissenstransfer durch ihre Einrichtungen wünschen.

Allerdings muss auch gesehen werden, dass im Kontext der vielfältigen Aufgaben und Zielsetzungen in der Wissenschaft, die gesellschaftliche Verwertbarkeit des produzierten Wissens von den Wissenschaftler:innen selbst eher nachrangig bewertet wird. Zwar geben über die Hälfte der Befragten an, „Societal Impact“ solle ein „hohes“ oder gar eines der „höchsten Ziele“ innerhalb der Wissenschaft sein und gleichzeitig empfinden über 41 % der Befragten einen „hohen“ oder sogar „sehr hohen“ Erwartungsdruck bei dem Thema. Jedoch wird die gesellschaftliche Verwertbarkeit der Forschung in der eigenen wissenschaftlichen Praxis eher nachrangig umgesetzt. So wird diesem Ziel von gut 53 % der Befragten „keine“ oder nur eine „geringe Priorität“ eingeräumt. Die Third Mission hat für die einzelnen Wissenschaftler:innen bei weitem nicht dieselbe Priorität wie für die Organisationen, die diesen gesellschaftlichen Auftrag für sich angenommen haben. Die einzelnen Wissenschaftler:innen scheinen dagegen teilweise überfordert. Daraus lässt sich ableiten, dass es nicht zielführend sein kann, wenn die Organisationen diese Ziel linear als Anforderungen an die Wissenschaftler:innen weiterreichen, wie es bei der Umsetzung in Leistungskriterien- und Anreizen oft der Fall ist.  Eher braucht es eine organisationale Strategie für den Wissenstransfer, bei der die Organisation die Hauptverantwortung trägt und die Wissenschaftler:innen nur punktuell, dafür aber zielgenau einbindet und ihnen zugleich Rahmenbedingungen und ein Instrumentarium zur Verfügung stellt, die deren eigenen Aktivitäten effektiv und effizient unterstützen.

 

Einstellungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft

Die absolute Mehrheit der Befragten (83 %) ist der Meinung, dass sich Wissenschaftler:innen aktiv in öffentliche Debatten einbringen sollten. Allerdings sollten sie sich dabei auf Aussagen zu ihrer eigenen Forschung beschränken, meinen ganze 63 % der Befragten. Knapp 28 % meinen dagegen, Wissenschaftler:innen sollten sich auch darüber hinaus in öffentliche Debatten einbringen. Dies zeigt, dass Wissenschaftler:innen das Einbringen wissenschaftlicher Expertise in gesellschaftliche Diskurse für geboten halten, jedoch weniger im Sinn von public intellectuals, die sich viel breiter äußern, sondern mit klarem Bezug auf das selbst produzierte Wissen. Unklar ist, ob die Befragten hier eher die Gefahr sehen, dass der „Expert:innenstatus“ von Wissenschaftler:innen entwertet werden könnte, wenn sie sich zu oft auch zu anderen Themen äußern. Oder ob sie es den (anderen) Wissenschaftler:innen nicht zutrauen, dass diese sich kompetent auch zu fachfremden Themen in öffentliche Debatten einbringen können.

Der Stellenwert der Autonomie der Wissenschaft ist in der wissenschaftlichen Community umstritten: Während sich 45 % dafür aussprechen, dass sich die Wissenschaft ein hohes Maß an Autonomie gegenüber der Gesellschaft bewahrt, neigen mit 39 % kaum weniger Befragte zu der Aussage, Wissenschaft sollte sich in den Dienst der Gesellschaft stellen. Die übrigen Befragten nehmen hier eine neutrale Position ein.

Diese „Positionierungen“ hängen in nicht zu unterschätzendem Maße vom jeweiligen eigenen Forschungsgegenstand ab. So machen sich im Besonderen solche Wissenschaftler:innen für die Autonomie der Wissenschaft stark, die selbst eher theoretisch arbeiten, aber auch solche, die stärker auf technische Infrastrukturen angewiesen sind. Geisteswissenschaftler:innen befürworten ebenfalls eine stärkere Autonomie, während Ingenieurswissenschaftler:innen weniger abgeneigt sind, die Wissenschaft in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Zudem machen sich Professor:innen eher für das Bewahren eines hohen Maßes an Autonomie stark, während Postdocs und Prädocs weniger abgeneigt sind, die Wissenschaft in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.

Bestandsaufnahme Wissenstransfer

Bei der Ermittlung von Wissenstransferpotenzialen zeigte sich, dass 88 % der Befragten ihre eigene Forschung für mindestens einen der nicht akademischen erfragten Bereiche als „ziemlich“ oder sogar „sehr relevant“ erachten. Von den übrigen 12 % geben lediglich 29 Personen (2,6 %) an, dass ihre Forschung für alle abgefragten Bereiche „überhaupt nicht relevant“ ist, während der andere Teil die eigene Forschung in mindestens einem Bereich zumindest als „kaum relevant“ einstuft. Insgesamt werden die Bereiche „Praktiker:innen (z.B. ärztliches Fachpersonal, Techniker:innen, Lehrende), „Politik“ und „Bürger:innen“ am häufigsten als Bereiche genannt, für die die eigene Forschung relevant ist.

Die Bedeutung von Wissenstransfer in der Forschungspraxis und die Transferpotenziale sind vor dem Hintergrund einer vielfältigen Forschungslandschaft mit fachspezifischen Forschungspraktiken zu betrachten. So kann das Wissenstransferpotenzial abhängig vom konkreten Wissensgegenstand höchst unterschiedlich ausfallen. Auch die möglichen Adressat:innen von Wissenstransferprozessen variieren je nach Erkenntnisgegenstand. Entsprechend zeigen sich für verschiedene Fächergruppen auch sehr unterschiedliche Transferprofile und -potenziale. So ist das Transferprofil der Geistes- und Sozialwissenschaften stärker auf die Zivilgesellschaft und die Politik, das der Lebenswissenschaften stärker auf Praktiker:innen (z.B. in der medizinischen Klinik) und das der Ingenieure am stärksten auf Unternehmen aus der Wirtschaft ausgerichtet.

Die Ermittlung der Transferpotenziale in Form von Relevanzeinschätzungen diente als Grundlage für die Messung der tatsächlichen Transferpraxis. Beachtlicherweise werden die Transferpotenziale bisher bereits in einem großen Umfang ausgeschöpft. Von allen Befragten stehen 73 % mit mindestens einer nicht akademischen gesellschaftlichen Gruppe im Austausch; 55 % sogar mit zwei oder mehr Gruppen. Lediglich 27 % der Befragten stehen gar nicht im Austausch mit einer der genannten Gruppen.

Der Austausch innerhalb der relevanten Bezugsgruppe ist bei den Praktiker:innen am weitesten verbreitet. So geben über 78 % der Befragten an, im Austausch zu stehen, wenn sie die eigene Forschung als „ziemlich“ oder „sehr relevant“ für diese Personengruppe ansehen. Weit über die Hälfte der Befragten, die die Forschung für die Medien als relevant erachten, ist auch mit diesen im Austausch (58 %). Noch höher ist der Anteil bei Kunst & Kultur (64 %), Wirtschaft (66 %) und der Zivilgesellschaft (68 %). Lediglich bei den Bezugsgruppen Politik (47 %) und Bürger:innen (46 %) ist der Anteil derer, die die eigene Forschung hier als relevant ansehen, deutlich geringer. Gleichzeitig wird die Relevanz der eigenen Forschung gerade für die Bereiche Politik und Bürger:innen häufig gesehen.

Der Austausch mit gesellschaftlichen Gruppen folgt in fast allen Fällen ähnlichen Mustern. So findet Austausch vor dem Forschungsprozess deutlich seltener statt, als während und nach dem Forschungsprozess Dem Bereich der Medien kommt eine Sonderstellung zu, da Austausch als einseitige Wissenschaftskommunikation nur im Bereich Medien dominiert mit knapp 83 %. Demgegenüber findet die Interaktion mit allen anderen Bereichen vorwiegend während der Forschungsdurchführung statt. Es lässt sich also festhalten, dass zwar einerseits nicht überall dort Austausch stattfindet, wo die Forschung als relevant eingeschätzt wird. Es gibt also noch unausgeschöpftes Transferpotenzial. Jedoch kann auch bei Weitem nicht von der sogenannten „Forschung im Elfenbeinturm“ gesprochen werden: Ein Austausch mit relevanten Interessengruppen ist durchaus stark verbreitet mit einer Ausschöpfung des Transferpotenzials von 73 %.

Sollten aus Sicht der Hochschul- oder Wissenschaftspolitik Wissenstransferaktivitäten in die Gesellschaft ausgeweitet oder verstärkt werden, sind die verschiedenen Disziplinen und Forschungskontexte mit ihrem jeweiligen Wissenstransferpotential zu berücksichtigen. Wir schlagen vor, an den Relevanzeinschätzungen der Wissenschaftler:innen anzusetzen und die verschiedenen gesellschaftlichen nicht akademischen Adressatengruppen zu unterscheiden. Solche Relevanzeinschätzungen bilden einen geeigneten Ausgangspunkt, um zielgerichtet und unter Mitnahme der Sachkenntnis der Wissenschaftler:innen adäquate Aktivitäten zu entwickeln. 

Dabei ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass der Wissenstransfer zunächst ein Organisationsziel ist. Die Organisationen entscheiden selbst, ob, wie und unter welchen Bedingungen sie dieses Ziel an die einzelnen Fachbereiche und Arbeitsgruppen oder einzelne Wissenschaftler:innen weiterreichen oder ob sie auf vorgelagerter Ebene vorstrukturieren und gezielt die für den Wissenstransfer geeigneten Forschungskontexte von den weniger geeigneten trennen. Auf diese Weise könnte mit einzelnen, in besonderer Weise prädestinierten Projekten und Forschungsergebnissen, sehr wirksame (und sichtbare) Transferpolitik gemacht werden (Stichwort: Leuchttürme des Wissenstransfers). Dies würde zusätzlich den Druck für diejenigen minimieren, deren Forschungsergebnisse für einen unmittelbaren Wissenstransfer weniger geeignet sind und die sich nur unnötig unter Druck gesetzt fühlen. 

In diesem Zusammenhang ist auch erwähnenswert, dass ein ziemlich großer Anteil von Wissenschaftler:innen die gesellschaftliche Verwertbarkeit der Forschungsergebnisse als ein bedeutendes Ziel innerhalb der Wissenschaft einordnet, mithin motiviert sind zu einer Third Mission beizutragen. Doch sind es auch gerade diejenigen, die die Organisationen hier gern unterstützend mit in der Pflicht sähen.

Umgekehrt wäre es unserer Meinung nach wenig zielführend, von allen Wissenschaftler:innen gleichermaßen bestimmte Wissenstransferaktivitäten zu erwarten und somit die Dritte Mission der Universitäten als Anforderung auf alle Individuen in gleicher Weise zu übertragen, z.B. als quantifizierte Evaluationskriterien. Derartige Maßnahmen bergen das Risiko die Forschungspraktiken und -inhalte zu beeinträchtigen.