Humboldt-Universität zu Berlin - Deutsch

Zusammenhänge von Forschungspraxis & Einstellungen

Um herauszufinden, ob die verschiedenen Einstellungen, bzw. Positionierungen abhängig sind von bestimmten Einflussfaktoren, haben wir multivariate logistische Modelle geschätzt. Damit wird geprüft, inwieweit sich die Einstellungen zur Autonomie (Abb. 28), zur Rolle von Wissenschaftler:innen in Debatten (Abb. 29, 30), und die Auffassungen über wissenschaftliches Wissens (Abb. 31, 32) zurückführen lassen auf die Zugehörigkeit in einer bestimmten Fächergruppe oder Statusgruppe, dem Geschlecht oder Merkmalen des Forschungskontextes. Die Abbildungen 28 bis 32 geben die Ergebnisse wieder.

Bezüglich der Frage, wie autonom die Wissenschaft gegenüber gesellschaftlichen Anforderungen sein sollte, zeigen sich mehrere starke Effekte (siehe Abbildung 28). So befürworten Professor:innen stärker die Autonomie der Wissenschaft, während jüngere Wissenschaftler:innen häufiger der Position zuneigen, dass sich die Wissenschaft in den Dienst der Gesellschaft stellen sollte.

Frauen bejahen ebenfalls etwas häufiger die Dienstleistungsfunktion der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft. Das ist ein wichtiger Befund, da in dem Modell auf Variablen, die mit Geschlecht konfundiert sind, wie Fächergruppe und Status, bereits kontrolliert ist. Es handelt sich somit um einen echten Geschlechtereffekt.

Bezüglich der Fächer zeigen sich im multivariaten Modell verglichen mit den bivariaten Befunden leichte Änderungen: Lebens- und Ingenieurswissenschaftler:innen sehen hier die Wissenschaft signifikant häufiger im Dienste der Gesellschaft verglichen mit den Sozialwissenschaftler:innen. Die Effekte der Fächergruppen sind in diesem Modell gegenüber den bivariaten Zusammenhängen weniger stark, da hier zusätzlich epistemische Bedingungen von Forschung berücksichtigt werden, die einen Teil der Fächervarianz aufklären (siehe Abbildung 28). 

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Abbildung 28 Einflussfaktoren auf Einstellungen: Autonomie

Für die epistemischen Bedingungen finden sich drei ergänzende Befunde: Stärker theoretisch arbeitende Wissenschaftler:innen, aber auch solche, die auf technische Infrastrukturen angewiesen sind, sprechen sich stärker für die Autonomie der Wissenschaft aus als Wissenschaftler:innen aus anderen Forschungskontexten. Befragte, die in Forschungskontexten mit hohem Wettbewerb gegenüber anderen Forschungsgruppen arbeiten, neigen eher der Position zu, dass sich die Wissenschaft in den Dienst der Gesellschaft stellen sollte (siehe Abbildung 28). 

Abbildung 29 verdeutlicht, dass bei der Position des Einbringens von Wissenschaftler:innen in öffentliche Debatten lediglich ein epistemisches Merkmal einen signifikanten Einfluss ausübt: Diejenigen, die im Wesentlichen theoretisch/konzeptionell arbeiten, neigen stärker zur Position, Wissenschaftler:innen sollten sich aus öffentlichen Debatten raushalten.

 

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Abbildung 29 Einflussfaktoren auf Einstellungen: Debatten

Auch bezüglich der Frage, ob Wissenschaftler:innen sich nur zu eigenen Forschungsthemen, oder auch zu darüber hinausgehende Themen öffentlich äußern sollten, gibt es einen signifikanten Geschlechter-Effekt (siehe Abbildung 30): Hier sind es die Frauen, die signifikant häufiger meinen, Wissenschaftler:innen sollten sich auf Aussagen zu ihren eigenen Forschungsthemen beschränken. Daneben sind die Wissenschaftler:innen aus den Geistes-, Lebens- und Naturwissenschaften im Vergleich zu denen aus den Sozialwissenschaften eher geneigt, sich auch zu Themen zu äußern, die über die eigenen Forschungsthemen hinausgehen.

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Abbildung 30 Einflussfaktoren auf Einstellungen: Aussagen

Abbildung 31 zeigt, dass sich die Einstellung zur Wertfreiheit von Wissen durch keine der getesteten Merkmale signifikant erklären lässt. Das heißt, hier ist die Varianz nicht auf strukturelle oder kontextuelle Merkmale zurückführbar und spiegelt damit eher subjektive, individuelle Positionierungen wider.

 

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Abbildung 31 Einflussfaktoren auf Einstellungen: Wertfreiheit

Abbildung 32 verdeutlicht, dass Lebens-, Natur- und Ingenieurswissenschaftler:innen verglichen mit Sozialwissenschaftler:innen signifikant häufiger der Position zustimmen, Wissen sei objektiv und universell gültig. Dagegen sind es die Wissenschaftler:innen, deren Forschung durch starken Wettbewerb mit anderen Forschergruppen geprägt ist, die eher der Position zustimmen, dass Wissen stets offen für Interpretationen und vorläufig sei (siehe Abbildung 32).

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Abbildung 32 Einflussfaktoren auf Einstellungen: Objektivität