Humboldt-Universität zu Berlin - Deutsch

Kooperationspotenzial

In diesem Kapitel geht es um die Frage, inwiefern im Berliner Forschungsraum Potenzial besteht, die Kooperationsbeziehungen zu intensivieren. Auch das Potenzial erschließen wir aus der Perspektive der Wissenschaftler:innen selbst und haben dazu nach den Wünschen gefragt, mehr zu kooperieren (Abschnitt 6.1). In einem zweiten Schritt analysieren wir diese Potenziale genauer, indem wir bivariate Zusammenhänge zwischen dem Wunsch nach Kooperationen und anderen Aspekten anschauen. Wir gehen der Frage nach, inwieweit das aktuelle Kooperationslevel, die Erfahrungen in bisherigen Kooperationen, der wahrgenommene Erwartungsdruck bzgl. Interdisziplinarität und die Art der bestehenden Kooperationen mit dem Wunsch nach weiteren Kooperationen zusammenhängen. Schließlich prüfen wir mithilfe eines multivariaten Modells die Einflussfaktoren auf den Kooperationswunsch an.

 

Wunsch nach Kooperationen

Das Kooperationspotenzial lässt sich aus der Frage ableiten, ob die Befragten gern mehr oder weniger kooperieren möchten oder ihre Kooperationsbeziehungen so belassen möchten, wie sie sind. Im Berlin Science Survey haben knapp 48 % angegeben, dass sie gern mehr kooperieren möchten, während die restlichen 52 % der Befragten mit ihrem Level an Kooperationen zufrieden sind (50,3 %) oder sogar lieber weniger kooperieren würden (1,6 %, ohne Abbildung).

Das Potenzial zur Steigerung von Kooperationen erscheint beträchtlich. Um dieses Potenzial ausschöpfen zu können, bedarf es vertieften Wissens darüber, bei welchen Wissenschaftler:innen und in welchen Forschungskontexten konkret diese Kooperationswünsche bestehen.

Der Wunsch nach Kooperationen wurde daher getrennt nach Statusgruppen betrachtet (siehe Abbildung 32). Hierbei zeigt sich, dass der Wunsch mehr zu kooperieren mit steigendem Status abnimmt. Während 59 % der Prädocs einen Kooperationswunsch angeben, sind es nur noch 46 % der Postdocs und lediglich 28 % der Professor:innen (siehe Abbildung 32). Vor dem Hintergrund, dass das Kooperationslevel bei den Professor:innen deutlich größer ist als bei den Prädocs (siehe Abbildung 2), ist dies durchaus nachvollziehbar.

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Abbildung 32 Kooperationswunsch, nach Statusgruppen

Im Vergleich der Fächergruppen zeigt sich, dass der Wunsch mehr zu kooperieren in den Geistes- und Lebenswissenschaften etwas stärker ausgeprägt ist, als in den anderen Fächergruppen (siehe Abbildung 33). Hier sind es jeweils mehr als die Hälfte der Wissenschaftler:innen, die gern mehr kooperieren würden. Am wenigsten mit lediglich 38 % der Befragten, melden die Naturwissenschaftler:innen einen Wunsch nach mehr Kooperation an.

Auch Geschlechterunterschiede lassen sich aufzeigen. Gemäß Abbildung 34 besteht bei Frauen ein größeres Potenzial zur Ausweitung von Kooperationen. So wünschen sich über 54 % der Frauen mehr zu kooperieren, während es bei den männlichen Kollegen nur knapp 43 % sind (siehe Abbildung 34).

 

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Abbildung 33 Kooperationswunsch, nach Fächergruppen

 

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Abbildung 34 Kooperationswunsch, nach Geschlecht

Interessant ist nicht nur, wer gern mehr kooperieren möchte, sondern auch mit wem. Dies ist relevant für den Aufbau möglicher Unterstützungsstrukturen seitens der Forschungsorganisationen. Außerdem ist es bedeutsam für die Frage, in welchen Bereichen eine Ausweitung von Kooperationsbeziehungen erwartbar ist, wenn sich diese nach den Forschungsinteressen der Wissenschaftler:innen richtet. Als erste Annäherung an diese Fragen haben wir im Berlin Science Survey die Kooperationswünsche für drei regionale Kategorien differenziert erhoben: Kooperationen im Berliner Forschungsraum, nationale Kooperationen und internationale Kooperationen. Gefragt wurde dabei jeweils, ob gewünscht ist, die Kooperationsbeziehungen in der jeweiligen Region zu verstärken, zu verringern oder so zu belassen, wie sie sind. Abbildung 35 zeigt, dass der Wunsch nach Ausweitung von Kooperationen in alle drei Regionen besteht, wobei das Interesse internationale Kooperationen auszuweiten noch einmal deutlich stärker ist.

Im Statusgruppenvergleich (Abbildung 36) spiegelt sich zunächst der obige Befund, dass Professor:innen einen geringeren Bedarf sehen, ihre Kooperationen auszuweiten als Postdocs und Prädocs (Abbildung 32). Darüber hinaus zeigt sich, dass insbesondere die Professor:innen bereits eine hohe Sättigung bei Kooperationen im Inland erreicht haben, sodass der Wunsch nach mehr Kooperationen im Berliner Forschungsraum und international stärker ausfallen. Bei den Postdocs und Prädocs dominiert ebenfalls leicht der Wunsch international zu kooperieren, obgleich in beiden Statusgruppen je rund die Hälfte auch in den anderen Regionen die Kooperationen ausweiten möchte.

Im Fächervergleich (Abbildung 37) fällt auf, dass unter den Geisteswissenschaftler:innen mit 68 % der Wunsch (noch) mehr mit dem Ausland zu kooperieren am größten ist. Das ist interessant vor dem Hintergrund, dass die Geisteswissenschaften diejenige Fächergruppe sind, die ohnehin schon mehr Auslandskooperationen aufweisen als die anderen Disziplinen (Abbildung 11). Keinerlei Unterschiede hinsichtlich der regionalen Kooperationswünsche zeigen sich zwischen Befragten der Universitäten (BUA) und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen (BR50) im Berliner Forschungsraum (siehe Abbildung 38).

 

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Abbildung 35 Kooperationswunsch nach Regionen

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Abbildung 36 Kooperationswunsch nach Regionen, nach Statusgruppen

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Abbildung 37 Kooperationswunsch nach Regionen, nach Fächergruppen

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Abbildung 38 Kooperationswunsch nach Regionen, nach Organisationsformen

Der Zusammenhang zwischen Kooperationslevel und Kooperationswunsch

Der Kooperationswunsch kann auch mit dem bereits bestehenden Kooperationslevel zusammenhängen. Wie oben beschrieben (Abschnitt 5.1) haben Professor:innen ein geringeres Bedürfnis nach Ausweitung ihrer Kooperationen als Postdocs und Prädocs und zugleich kooperieren sie auch bereits mehr (Abbildung 2). Abbildung 39 stellt den Zusammenhang zwischen dem bestehenden Kooperationslevel und dem Kooperationswunsch dar. So geben weit mehr Befragte, die ausschließlich alleine forschen, einen Wunsch nach (mehr) Kooperationen an (73,5 %). Dagegen geben lediglich 34,5 % derjenigen, die ausschließlich mit anderen forschen, einen Kooperationswunsch an (siehe Abbildung 39). Der Wunsch mehr zu kooperieren hängt demnach sehr stark von dem bestehenden Kooperationslevel ab.

 

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Abbildung 39 Kooperationswunsch nach Level an Forschungskooperationen

Der Zusammenhang zwischen Kooperationserfahrungen und Kooperationswunsch

Eine weitere mögliche Einflussgröße auf den Kooperationswunsch könnten die bisherigen Kooperationserfahrungen sein. Es ist anzunehmen, dass bisherige positive Erfahrungen einen positiven Einfluss auf den Wunsch haben mehr zu kooperieren. Doch entgegen dieser Annahme sind es gerade diejenigen, die in bisherigen Kooperationen eher weniger gute Erfahrungen gemacht haben, die sich eine Ausweitung ihrer Kooperationsaktivitäten wünschen. Die Abbildungen 40 und 41 stellen diesen Zusammenhang jeweils für die zentralen Einschätzungsdimensionen der Qualität bisheriger Kooperationen dar.

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Abbildung 40 Kooperationswunsch nach Kooperationserfahrungen (Projektziele)

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Abbildung 41 Kooperationswunsch nach Kooperationserfahrungen (Eigene Ziele)

 

Der Zusammenhang zwischen Erwartungsdruck und Kooperationswunsch

Führt ein hoher Erwartungsdruck dazu, dass Wissenschaftler:innen geneigt sind, mehr zu kooperieren? Der Antwort auf diese Fragen nähern wir uns, indem wir auf das Item Erwartungsdruck „interdisziplinär zu kooperieren“ zurückgreifen. Dieses Item erfasst zwar nicht alle Facetten des Erwartungsdrucks zu kooperieren, dient uns hier jedoch als erster Hinweis auf Zusammenhänge zwischen dem Erwartungsdruck bzgl. Kooperationen und dem Kooperationswunsch. In der bivariaten Darstellung (siehe Abbildung 42) kann der erwartete Zusammenhang jedoch nicht bestätigt werden: Diejenigen, die einen hohen oder sehr hohen Erwartungsdruck verspüren, geben sogar häufiger an, keinen Wunsch nach zusätzlichen Kooperationen zu haben. Einen guten Erklärungsansatz für diesen Sachverhalt liefert Abbildung 43: Diejenigen, die einen hohen Erwartungsdruck verspüren, kooperieren bereits mehr. Dadurch haben sie eher eine Sättigung erreicht und sehen weniger die Notwendigkeit mehr zu kooperieren. Gleichzeitig spielt hier auch der Status eine Rolle: Während die Professor:innen den stärksten Erwartungsdruck verspüren interdisziplinär zu kooperieren (Abbildung 44), haben sie gleichzeitig ein höheres Level bei Kooperationen allgemein und bei interdisziplinären Kooperationsbeziehungen im Besonderen erzielt (siehe Abbildung 13). Zudem sind ihre Erfahrungen mit Kooperationen durchweg etwas positiver als die der anderen Statusgruppen (siehe Abbildung 25).

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Abbildung 42 Kooperationswunsch nach Erwartungsdruck bzgl. Interdisziplinarität

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Abbildung 43 Erwartungsdruck und regelmäßige interdisziplinäre Kooperationen

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Abbildung 44 Erwartungsdruck bzgl. Interdisziplinarität, nach Statusgruppe

Im multivariaten Modell bestätigt sich, dass ein hoher Erwartungsdruck bzgl. interdisziplinärer Kooperationen einhergeht mit bereits bestehenden interdisziplinären Kooperationen und mit einem höheren Status. Weibliche Befragte nehmen häufiger einen hohen Erwartungsdruck interdisziplinär zu kooperieren wahr. Außerdem besteht bei den Lebens- und Naturwissenschaftler:innen, aber noch mehr in den Geisteswissenschaften ein höherer Erwartungsdruck im Vergleich zu den Sozialwissenschaften (siehe Abbildung 45).

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Abbildung 45 Einflussfaktoren auf den Erwartungsdruck bzgl. interdisziplinärer Kooperationen

 

Der Zusammenhang zwischen Anbahnung und Stabilität von Kooperationen und dem Kooperationswunsch

Wir haben uns angeschaut, inwieweit die Stabilität der Kooperationsbeziehungen mit dem Kooperationswunsch zusammenhängt. Hierbei zeigten sich nur leichte Assoziationen. Diejenigen mit überwiegend stabilen Kooperationspartnerschaften sind eher geneigt noch mehr zu kooperieren als diejenigen mit überwiegend wechselnden Kooperationspartnern (siehe Abbildung 46). Mit Blick auf die Anbahnung von Kooperationen zeigt sich der weniger überraschende Zusammenhang, dass Wissenschaftler:innen, die den Wunsch haben mehr zu kooperieren, zugleich angeben, dass ihre Kooperationen häufiger durch Eigeninitiative angebahnt werden (siehe Abbildung 47).

 

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Abbildung 46 Kooperationswunsch nach Wechselhaftigkeit bestehender Kooperationsbeziehungen

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Abbildung 47 Kooperationswunsch nach Art der Kooperationsanbahnungen

 

Einflussfaktoren auf das Kooperationspotenzial

Mithilfe multivariater Analysen kann die Gewichtung mehrerer verschiedener Faktoren auf den Kooperationswunsch unter gleichzeitiger Berücksichtigung der jeweils anderen Faktoren untersucht werden. Hierbei zeigt sich, dass im Wesentlichen fünf Faktoren wirklich bedeutsam sind (Abbildung 48). Insbesondere das Level an bereits bestehenden Forschungskooperationen beeinflusst diesen Wunsch: Je höher das bereits erreichte Level ist, desto geringer ist der Wunsch noch mehr zu kooperieren (siehe Abbildung 46). Daneben zeigt sich mit etwas geringerem Gewicht auch der Einfluss des Erwartungsdrucks, jedoch in der oben bereits beschriebenen Weise: Personen mit höherem Erwartungsdruck sind weniger geneigt mehr zu kooperieren. Darüber hinaus zeigt sich drittens auch der Einfluss der Statusgruppen. So haben Post- und Prädocs tendenziell einen höheren Bedarf an mehr Kooperationen, als Professor:innen. Etwas schwächer, aber dennoch signifikant und daher erwähnenswert sind die Einflüsse von Geschlecht und Fach. Befragte aus den Lebenswissenschaften äußern häufiger den Wunsch nach mehr Kooperation, ebenso wie weibliche Befragte im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen.

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Abbildung 48 Einflussfaktoren auf den Kooperationswunsch

Da das bisherige Kooperationslevel den größten Einfluss auf den Kooperationswunsch hat, stellt sich die Frage, welche Faktoren das Kooperationslevel bestimmen. Das multiple Regressionsmodell dient auch hier dazu, zu prüfen, welche Faktoren unter Kontrolle anderer möglicher Faktoren einen starken Einfluss auf das Kooperationslevel haben. Hier zeigt sich, dass es vor allem ein hoher Erwartungsdruck ist, der ein hohes Level an Kooperationen in der Forschung bedingt (Abbildung 49). Daneben zeigt sich der bereits bivariat beschriebene Befund (vgl. Abbildung 3) stabil, dass die Lebens-, Natur- und Ingenieurswissenschaften grundsätzlich ein höheres Level an Forschungskooperationen aufweisen, während die Geisteswissenschaften deutlich seltener in ihrer Forschung kooperieren. Nicht zu vernachlässigen ist auch der starke Effekt bei den Prädocs, deren niedrigeres Kooperationslevel sich hier auch unter Kontrolle aller anderen Faktoren bestätigt.

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Abbildung 49 Einflussfaktoren auf das Kooperationslevel