Humboldt-Universität zu Berlin - Deutsch

Kooperationen aus der Sicht der Wissenschaftler:innen

Bislang haben wir uns angesehen, in welchem Umfang und auf welche Art bereits im Berliner Forschungsraum Forschungskooperationen etabliert sind. Um hochschulpolitische Maßnahmen zur Stärkung von Kooperationen im Berliner Forschungsraum ausloten zu können, ist es essentiell, die Erfahrungen und Einschätzungen der Wissenschaftler:innen selbst in die Bewertung zu integrieren. Diesen nähern wir uns von zwei Seiten: Zum einen möchten wir herausfinden, welchen Stellenwert „Kooperationen“ in der wissenschaftlichen Arbeit haben und wie ausgeprägt der Erwartungsdruck ist, insbesondere interdisziplinär zu kooperieren. Zum anderen eruieren wir die Qualität der Kooperationsbeziehungen anhand der Erfahrungsberichte der Wissenschaftler:innen, sprich was bei bisherigen Kooperationen gut und was weniger gut funktioniert hat. Aus den generellen Einstellungen zu Kooperationen und den konkreten Erfahrungen lässt sich ganz gut darstellen, wie die Wissenschaftler:innen selbst auf das Thema „Kooperationen“ schauen.

 

Bedeutung von Interdisziplinarität für den eigenen Forschungsalltag

In den letzten Jahren stand das Thema Interdisziplinarität sehr im Fokus. Obgleich bei weitem nicht alle Kooperationen interdisziplinär sind (vgl. Abbildung 12) und auch nicht sein sollen, so können solche wissenschaftspolitischen Imperative durchaus einigen Druck auf die Wissenschaftler:innen ausüben. Während die Berlin University Alliance Kooperationen allgemein befördern will, gibt es gleichzeitig schon länger den wissenschaftspolitischen Imperativ, Projekte möglichst interdisziplinär durchzuführen. Forschungsförderer fördern schon seit längerem gezielt interdisziplinäre Projekte und Verbünde.

Befragte aus dem Berlin Science Survey wurden gebeten, aus ihrer Sicht die Wichtigkeit von interdisziplinären Kooperationen, den wahrgenommenen Erwartungsdruck und die Priorisierung in der eigenen Forschungspraxis einzuschätzen. Abbildung 22 zeigt, dass gut zwei Drittel der Befragten „interdisziplinäre Kooperationen“ als „hohes“ oder gar eines der „höchsten Ziele“ innerhalb der Wissenschaft einordnen. Gleichzeitig empfinden mehr als ein Drittel der Befragten einen „hohen“ oder sogar „sehr hohen“ Erwartungsdruck interdisziplinär zu kooperieren. In der eigenen wissenschaftlichen Praxis schließlich wird diesem Ziel von 51,6 % der Befragten „keine“ oder eine „geringe Priorität“ eingeräumt und von 58,4 % eine „hohe“ oder sogar „höchste Priorität“. Die Priorisierung verschiedener Ziele in der eigenen Arbeit wird sowohl von der eigenen Ziel- und Wertsetzung als auch vom Erwartungsdruck getrieben.

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Abbildung 22 Interdisziplinarität: Ziel, Erwartungsdruck, Priorisierung

Abbildung 23 stellt die Antworten in Relation zu den anderen erhobenen wissenschaftlichen Zielen dar. Dabei erweist sich, dass interdisziplinäre Kooperationen - obgleich als ziemlich wichtig - dennoch als weniger wichtig als andere Ziele angesehen werden. Lediglich der Publikationsoutput und die Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen (Societal Impact) werden noch weniger wichtig eingeschätzt. Gleichzeitig ist der Erwartungsdruck interdisziplinär zu kooperieren eher gering, wenngleich doch höher als bei guter Lehre und Open Science. Gleichzeitig wird Interdisziplinarität in der eigenen Praxis, ähnlich wie „gute Lehre“, eine geringere Priorität eingeräumt. Lediglich Societal Impact und Open Science werden in der alltäglichen Praxis noch geringer priorisiert.

 

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Abbildung 23 Ziele, Erwartungsdruck und eigene Priorisierung in der Wissenschaft

 

Qualität von Kooperationen

Um die Qualität von Kooperationen basierend auf den Erfahrungen und Einschätzungen der Wissenschaftler:innen zu erfassen, wurden diese danach gefragt, was in ihren Kooperationen (eher) gut und was (eher) schlecht funktioniert. Dafür wurden mehrere funktionale Qualitätsdimensionen einzeln eingeschätzt und in einer Gesamtschau zusammengetragen (Abbildung 24). Insgesamt funktionieren die Kooperationen demnach „eher gut“ bis „sehr gut“. Hervorzuheben ist, dass vor allem die „harten“ Erfolgsbedingungen – „Erfüllung der Projektziele“ und „Erfüllung eigener Ziele“ – von nur ganz wenigen als „eher schlecht“ oder „sehr schlecht“ funktionierend benannt werden und von der überwiegenden Mehrheit als „eher gut“ bzw. „sehr gut“ funktionierend. Am leichtesten scheint die Herstellung von Vertrauen zwischen den Kooperationspartner:innen zu gelingen, was als eine grundlegende Bedingung für den Erfolg von Kooperationen betrachtet werden kann. 

Bemerkenswert ist, dass die Integration verschiedener fachlicher Perspektiven („Interdisziplinarität“) weniger Schwierigkeiten bereitet als vielleicht erwartet. Schwierigkeiten deuten sich am ehesten bei der Arbeitsteilung, Mittel- und Ressourcenverteilung sowie der Integration verschiedener Arbeitsstile an.

 

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Abbildung 24 Qualität von Kooperationen

Im Statusgruppenvergleich fällt auf, dass Prädocs in allen Aspekten eine kritischere Beurteilung abgeben als Postdocs und dass die Professor:innen die besten Teilbewertungen abgeben. Besonders groß sind die Unterschiede bei den Qualitätsurteilen zur Arbeitsverteilung und zur gerechten Ressourcen- und Mittelverteilung (siehe Abbildung 25). Diese Unterschiede spiegeln die spezifischen Rollen wider, die Prädocs, Postdocs und Professor:innen in den Forschungsprozessen und entsprechend auch in Kooperationen einnehmen.

 

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Abbildung 25 Qualität von Kooperationen, nach Statusgruppen

Für die zentralen Qualitätsdimensionen “Erfüllung der Projektziele“ und „Erfüllung der eigenen Ziele“ zeigen sich ebenfalls statusspezifische Unterschiede: Bei allen Statusgruppen fällt die „Erfüllung der eigenen Ziele“ gegenüber der „Erfüllung der Projektziele“ signifikant ab. Bei den nicht promovierten Wissenschaftler:innen jedoch fallen beide Werte noch etwas geringer aus. So geben gut 83 % der Professor:innen, aber nur noch knapp 76 % der nicht promovierten Wissenschaftler:innen an, dass die eigenen Ziele in Kooperationen erreicht werden können (siehe Abbildung 26).

 

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Abbildung 26 Erfüllung von Zielen in Kooperationen, nach Statusgruppen

Ähnlich verhält es sich beim Vergleich der Fächergruppen: Während es bezüglich der Erfüllung von Projektzielen kaum Unterschiede gibt, zeigen sich solche durchaus, wenn es um die Erreichung eigener Ziele geht: Knapp 85 % der Naturwissenschaftler:innen bewerten die Erreichung eigener Ziele in Kooperationen gut. Bei den Ingenieurswissenschaftler:innen sind dies nur 72 % (siehe Abbildung 27). Damit sind es auch die Ingenieurswissenschaften, bei denen die Erfüllung der Projektziele und die Erfüllung der eigenen Ziele am weitesten auseinandergehen. Es liegt nahe anzunehmen, dass dies an den häufigeren Unternehmenskooperationen in den Ingenieurswissenschaften liegt (Stichwort: Auftragsforschung), die wir in Abbildung 9 zeigen konnten. Die Ingenieurswissenschaftler:innen kooperieren mehr als andere Fächer mit Unternehmen, bei denen gleichzeitig strenge Vorgaben gelten. Hierin könnte die Schwierigkeit bestehen, dass eigene Ziele teilweise hintenanstehen.

 

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Abbildung 27 Erfüllung von Zielen in Kooperationen, nach Fächergruppen

Beim Vergleich von männlichen und weiblichen Wissenschaftler:innen zeigen sich keine nennenswerten Unterschiede (siehe Abbildung 28). Auch beim Vergleich der Organisationsformen Unis (BUA) und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen (BR50) zeigen sich keine größeren Unterschiede (siehe Abbildung 29).

 

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Abbildung 28 Erfüllung von Zielen in Kooperationen, nach Geschlecht

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Abbildung 29 Erfüllung von Zielen in Kooperationen, nach Organisationsformen

 

Einflussfaktoren auf die Qualität von Kooperationen

Die bisherigen Analysen waren Beschreibungen bivariater Zusammenhänge. Um den Einfluss verschiedener Faktoren auf die Qualität von Kooperationen und den Kooperationserfolg gegeneinander abwägen zu können, muss man mit multivariaten Analysen, in diesem Fall multiplen Regressionen arbeiten. Die Abbildungen 30 und 31 identifizieren die Faktoren, die einen Einfluss auf die Qualität von Kooperationen, bzw. den Kooperationserfolg haben. Dabei zeigt sich, dass das Level der Forschungskooperationen auf beide Erfolgsparameter wirkt, sowohl auf die Erfüllung von Projektzielen, als auch die Erfüllung eigener Ziele. Das bedeutet, je intensiver kooperiert wird, desto eher wird der Kooperationserfolg gesichert. Daraus lässt sich ableiten, dass häufiges Kooperieren, bzw. Kooperationserfahrung, sich positiv auf die Qualität der Kooperationsbeziehungen auswirkt (siehe Abbildungen 30 und 31).

 

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Abbildung 30 Einflussfaktoren auf die Qualität von Kooperationen (Erfüllung eigener Ziele)

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Abbildung 31 Einflussfaktoren auf die Qualität von Kooperationen (Erfüllung Projektziele)